Es ist so weit: Wir läuten die Preislistensaison 2025 ein, und zwar mit Spekulationen darüber, wer wohl auf der Longlist des International Booker Prize steht. Zum Redaktionsschluss dieser Folge stand die Liste noch nicht fest, deshalb stellen wir euch Romane vor, die im letzten Jahr ins Englische übersetzt wurden und Chancen auf eine Nominierung hätten.
Dann starten wir in unseren heutigen Debütreigen mit „bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann“ von Oliver Lovrenski. Der Norweger erzählt von Freundschaften in einer von Drogen und Gewalt geprägten Jugend und gilt in seiner Heimat schon jetzt als großes Nachwuchstalent. Das liegt nicht nur an der Sprache und dem Plot, sondern auch an der besonderen Entstehungsgeschichte des Romans. Was es damit genau auf sich hat, hat uns Übersetzerin Karoline Hippe im Interview verraten.
Ein Roman mit dem Titel „Toyboy“ weckt bei uns Erwartungen der schlüpfrigen Art. Und tatsächlich lässt Jonas Theresia seinen jungen Protagonisten Levin als Escort arbeiten, schickt ihn zu einem Pornodreh und einigen anderen Sexjobs. Zwischen den Einsätzen kümmert sich Levin um seinen jüngeren Bruder, der einer vermeintlichen Internetliebe auf den Leim gegangen ist. Reicht das für ein starkes Debüt?
Zach Williams legt für seine Buchpremiere gleich eine Sammlung vor: „Es werden schöne Tage kommen“ vereint zehn Kurzgeschichten, die mit verschiedenen Wahrnehmungen bis hin zum Realitätsverlust spielen. Barack Obama setzte das Werk im vergangenen Jahr auf seine „Summer Reading List“, übersetzt hat das Ganze unter anderem Podcastliebling Clemens J. Setz – klingt alles super, aber wie lautet das Papierstau-Urteil?
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00:00:00 - Nachrichten: Spekulation Longlist International Booker 2025 00:17:36 - "bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann" von Oliver Lovrenski 00:32:33 - "Toyboy" von Jonas Theresia 00:47:24 - "Es werden schöne Tage kommen" von Zach Williams
Buch-Infos:
Titel: bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann
Autor: Oliver Lovrenski
Übersetzung: Karoline Hippe
Verlag: Hanser Berlin (2025)
Preis (Buch/eBook): 22,00 € / 14,99 €
Länge: 256 Seiten
Schlagworte: Jugend, Drogen
Form: Hardcover
ISBN: 978-3446281608
Links: Verlag
Titel: Toyboy
Autor: Jonas Theresia
Verlag: Kein & Aber (2025)
Preis (Buch/eBook): 23,00 € / 17,99 €
Länge: 224 Seiten
Schlagworte: Sexarbeit, Debüt
Form: Hardcover
ISBN: 978-3036950655
Links: Verlag
Titel: Es werden schöne Tage kommen
Autor: Zach Williams
Übersetzung: Bettina Abarbanell, Clemens J. Setz
Verlag: dtv (2025)
Preis (Buch/eBook): 24,00 € / 18,99 €
Länge: 272 Seiten
Schlagworte: Kurzgeschichten, Verrückt
Form: Hardcover
ISBN: 978-3423284615
Links: Verlag
Zu Toyboy: Was ich an vielen Romanen regelrecht hasse, sind die ausufernden Beschreibungen von Personen und Szenarien. Erstens entsteht dadurch selten ein guter Zugang oder Nähe und zweitens stören diese Beschreibungen häufig die eigene Vorstellungskraft, die ein gutes Buch beim Leser auslöst. Jonas Theresia löst dies meiner Meinung nach in seinem Debutroman „Toyboy“ auf meisterhafte Weise: Er benötigt keine elaborierten Beschreibungen, sondern kann den Leser in relativ kurzen Sätzen und mit relativ einfachen Worten sofort „abholen“ und in die Geschichte eintauchen lassen. Man fühlt mit dem Protagonisten Levin und seiner Perspektivlosigkeit und seiner sozialen Inkompetenz, und immer wieder fühlt man sich (wie auch Levin) regelrecht unwohl. Gleichzeitig vermag es Jonas Theresia aber auch, durch skurrile Situationen und humorvolle Untertöne immer wieder Kontrapunkte zu setzen und diese Balance geschickt zu halten. Dabei ist „Toyboy“ einerseits voll von Seitenhieben und gesellschaftlichen Themen, ohne sie zu moralisierenden oder gar läuternden Exkursen zu entwickeln und sich darin zu verlieren. So kann man jedes Kapitel einzeln für sich als eigene kleine Geschichte lesen (und reflektieren) – andererseits hat „Toyboy“ auch eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann … und ein Ende, das wirklich berührt. Deswegen kann ich euere Kritik naturgemäß nicht verstehen, aber das ist vlt auch nicht das Hauptproblem… Wenn ich in der Literaturkritik einen Roman auf Realitätsnähe prüfe und keinen geraden deutschen Satz zustande bekomme, ist das meiner Meinung nach das Hauptproblem 😉
LG,
Olga